Ein halbes Jahr ist seit dem Ausbruch der Corona-Krise vergangen. Die Zukunft nach Corona ist immer noch ungewiss. Doch schon jetzt zeichnet sich ab, wie stark die Pandemie die Wirtschaftswelt, die Börse, die Politik und unser Alltagsleben verändern wird.
Es gibt Momente, die die Geschichte für alle Zeit in ein Davor und ein Danach teilen. Man denke nur an die beiden Weltkriege. Die Wiedervereinigung. Den 11. September. Oder die Lehman-Pleite. Die Corona-Pandemie, so viel ist sicher, ist einer dieser Momente. Wie wird die Krise unsere Wirtschaftswelt verändern? Wie stehen die Perspektiven für Anleger? Und macht das Virus die Welt zu einem besseren oder doch zu einem schlechteren Ort? Für eine abschließende Antwort auf all diese Fragen ist es definitiv zu früh. Doch Grundzüge des Lebens nach Corona sind bereits erkennbar.
Wirtschaft nach Corona
Es gibt verschiedene Szenarien, wie sich die Wirtschaft nach der Corona-Krise entwickelt wird. Die optimistischste ist das sogenannte V-Szenario. Dazu muss man sich das Wirtschaftswachstum als Kurve vorstellen, die nach einem heftigen Einbruch sofort wieder steil nach oben schießt. Weil die Weltwirtschaft jedoch weiterhin unter den Folgen der Pandemie leidet und die Gefahr einer zweiten Welle fortbesteht, ist dieses Best-Case-Szenario mittlerweile als relativ unwahrscheinlich anzusehen.
Dann wäre da noch das U-Szenario. Darin bleibt die Wirtschaft nach dem Crash noch eine Weile im Tal hängen und wächst erst mittelfristig wieder deutlich. Noch langsamer kehren Konsum- und Investitionsfreude bei Verbrauchern und Unternehmen im L-Szenario zurück. Dabei streckt sich die wirtschaftliche Erholung über einen Zeitraum von mehreren Jahren. Das bedeutet mehr Arbeitslose und einen niedrigeren Lebensstandard für große Teile der Bevölkerung. Wegen der Form dieser Kurve sprechen manche Ökonomen auch vom „Swoosh„, der dem Logo des Sportartikelherstellers Nike ähnelt.
Noch ist ungewiss, wie sich die Lage tatsächlich entwickeln wird. Die OECD geht im besten Fall davon aus, dass die Weltwirtschaftsleistung in diesem Jahr um 6 Prozent einbricht. Das wäre mit Abstand die heftigste Rezession seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges. 2021 rechnet der IWF dann wieder mit einem Wachstum von 5,4 Prozent. Doch selbst wenn es nicht zu einer zweiten Welle mit erneuten Lockdowns kommt, wird das Wohlstandsniveau laut OECD-Berechnungen frühestens in zwei Jahren wieder das Vorkrisenniveau erreichen.
Börse nach Corona
Ob selbiges für die Börse gilt, ist nicht so leicht zu beantworten, denn die Aktienmärkte preisen nicht nur die aktuelle Lage, sondern stets auch den Ausblick in die Zukunft ein. Wenn die Perspektiven einer Erholung gut stehen, könnten die Börsen bereits früher ihren Prä-Corona-Stand erreichen als die Realwirtschaft. Das hat sich in den vergangenen Wochen schon angedeutet, zum Beispiel als der US-Tech-Index Nasdaq zwischenzeitlich wieder auf ein Rekordhoch kletterte.
Ähnlich sieht es beim DAX aus. Der wichtigste deutsche Aktienindex hat sich nach seiner Talfahrt im März gefangen und steht wieder bei über 12 000 Punkten (Stand: 29.6.2020). Das sind nur zehn bis fünfzehn Prozent weniger als beim Ausbruch der Krise. Auf den ersten Blick klingt das für Anleger sehr gut. Aber auch an der Börse bleibt ein großes Restrisiko bestehen, falls kein Impfstoff gefunden wird oder die Weltwirtschaft in Folge einer zweiten Welle erneut heruntergefahren muss. Dies würde für Pessimismus an den Märkten sorgen und dürfte sich entsprechend in sinkenden Kursen widerspiegeln.
Langfristig gesehen bleiben die Aussichten für geduldige Anleger aber auf jeden Fall positiv: Denn bislang hat sich die Weltwirtschaft noch immer von Krisen erholt und ist am Ende stärker aus ihnen hervorgegangen. Dennoch ist es für Kleinanleger durchaus ratsam, sich über eine Diversifikation des Portfolios Gedanken zu machen. Denn auch dem Aktienmarkt könnten noch weitere schwere Jahre bevorstehen.
Politik nach Corona
Die Pandemie hat mannigfaltige Auswirkungen für die Politik. Fangen wir bei den Finanzen an. Fakt ist, dass die Staatsverschuldung durch die Corona-Krise drastisch wächst. Alleine Deutschland nimmt in diesem Jahr 218,5 Milliarden Euro neue Schulden auf, vor allem, weil die Regierung die Wirtschaft mit einem Konjunkturpaket ankurbeln will. Die deutsche Staatsschuldenquote steigt folglich von 60 auf 80 Prozent der Wirtschaftsleistung. In anderen Ländern wie Frankreich, Italien, den USA oder Japan ist sie aber noch deutlich höher. Zugleich pumpen die Notenbanken mit dem Aufkauf von Staatsanleihen massiv Geld in die Märkte, um der Krise entgegenzuwirken.
Die Gefahr ist, dass dieser Schuldenrausch zu einer höheren Inflation führt. Bislang ist das jedoch nicht zu beobachten, weil die Krise weltweit den Konsum und die Nachfrage gedrückt hat. Sollten die Preise aber wie befürchtet steigen, hätte das spürbare negative Folgen für Verbraucher, Arbeitnehmer, Sparer und Rentner.
Gleichzeitig verschlechtern hohe Schulden langfristig die Wachstumsperspektive von Volkswirtschaften: Laut einer Untersuchung des ifo-Instituts wachsen Länder mit einer niedrigeren Schuldenquote historisch gesehen um ein Prozent stärker als die mit einer hohen Verschuldung. Ein Grund: Hohe Zinszahlungen belasten die öffentlichen Haushalte noch Jahrzehnte später und schränken damit den Handlungsspielraum der Politik für dringend notwendige Investitionen (zum Beispiel in Bildung und Infrastruktur) ein.
Im schlimmsten Fall droht sogar eine Staatsschuldenkrise, wie sie etwa Griechenland seit 2010 erlebt hat. Damals mussten die Euro-Länder den Mittelmeerstaat mit milliardenschweren Hilfskrediten und Bürgschaften vor dem finanziellen Kollaps bewahren. Was wäre, wenn sich die Geschichte nun in Italien, der drittgrößten Volkswirtschaft Europas, wiederholt? Um diesen Super-GAU zu verhindern, plant die EU gemeinsam einen 750 Milliarden Euro schweren Wiederaufbaufonds, der besonders krisengebeteulte europäische Staaten unterstützten soll.
Außenpolitik nach Corona
Sollte es so kommen, würde die EU in der Krise enger zusammenrücken. Für die weltweite Staatengemeinschaft lässt sich das bislang nicht behaupten. US-Präsident Donald Trump will nicht mehr mit der Weltgesundheitsorganisation WHO zusammenarbeiten und gibt China die Schuld am Ausbruch von Covid-19. Peking nutzt derweil die Krise, um seinen geopolitischen Einfluss auszuweiten, was zu weiteren Konflikten führt.
Nachdem Corona die Verletztlichkeit der globalen Produktionsketten (Stichwort Masken) unter Beweis gestellt hat, ist auch bis zu einem gewissen Grad ein Rollback der Globalisierung denkbar. So könnten etwa medizinische Produktionsstätten wieder stärker aus Asien zurück nach Europa verlagert werden. Die Frage ist, wie hoch der Preis dafür wäre – sowohl für die Politik als auch die Unternehmen.
Währenddessen tobt ein Wettlauf um einen Corona-Impfstoff mit ungewissem Ausgang. In dem Land, in dem Wissenschaftlern der große Durchbruch gelingt, steht die Regierung vor einem Dilemma: Versorgt sie vorranging ihre eigene Bevölkerung mit dem Impfstoff? Oder sucht sie die Kooperation mit der Weltgemeinschaft? Hier drohen Verteilungskonflikte, die die internationalen Beziehungen auf eine harte Probe stellen könnten.
Alltag nach Corona
Seit Monaten befindet sich nahezu die gesamte Welt quasi in einem sozialen Großexperiment. Milliarden Menschen blieben plötzlich zu Hause und verlagerten ihren Arbeitsschwerpunkt ins HomeOffice.
Statistiken zeigen interessante Folgen. So schlafen die Deutschen offenbar länger und gehen morgens später unter die Dusche, weil die Pendelei ins Büro entfällt. Auch in vielen anderen Bereichen hat sich unser Leben schon der neuen Corona-Normalität angepasst. Wir gehen seltener ins Restaurant, tragen Masken in Bus und Bah und halten 1,5 Meter Abstand zu anderen Menschen. Konzerte und Großveranstaltungen für über 1000 Menschen wird es auch bis zum Jahresende nicht geben. Das Autokino feiert ein Combeack. Die Bundesliga hat die Saison ohne Zuschauer beendet. Der Unterricht an den Schulen musste zwischenzeitlich digital stattfinden, erst nach den Sommerferien soll wieder ein Regelbetrieb herrschen.
Noch ist unklar, wie nachhaltig all das sein wird. Manches könnte bleiben, manches wieder vergehen. Vieles hängt natürlich davon ab, ob ein Impfstoff gefunden wird und sich Hilfsmittel wie die Tracking-App (die bislang 15 Millionen Mal in Deutschland heruntergeladen wurde) bewähren.
Der deutsche Soziologe Andreas Reckwitz vermutet, dass durch die Krise „Transformationsprozesse, die bereits zuvor begonnen haben, verstärkt werden“. Damit meint er vor allem die Digitalisierung. Sie wird unser Leben nach Corona noch stärker durchdringen als zuvor: in der Bildung, in unseren sozialen Beziehungen und in der Arbeitswelt. Zumindest hier könnte die Krise vielleicht eine Wende zum Besseren markieren.