Wieso sich die Investition in Biotechnologieunternehmen 2023 wieder lohnen könnte. Interview mit Noushin Irani, Portfolio-Managerin der DWS.

2022 war ein schwieriges Jahr für Biotechnologieunternehmen. Dürfen sich Anleger jetzt wieder Hoffnung machen?

Noushin Irani: Es hatte Gründe, dass der Sektor in diesem Jahr so gelitten hat. Im Jahr 2020 haben wir vor allem bei den Anbietern der Vakzine und Medikamente im Bereich von Covid-19 einen regelrechten Boom gesehen. Als sich das makroökonomische Umfeld zu ändern begann, kam es zu einer regelrechten Zäsur. Insbesondere die kleineren und nicht profitablen Unternehmen kamen unter Druck. Deren Finanzierung ist plötzlich sehr viel teurer geworden. Einigen ging regelrecht das Geld aus. Denn die großen Biotech-Unternehmen sitzen auf ansehnlichen Cash-Polstern. Und die Pharma-Unternehmen profitierten zudem davon, dass Menschen auch in der Krise nicht auf Medikamente verzichten können. Diese Firmen weisen auf lange Sicht gute Cashflows, ordentliche Renditen und ansehnlichen Margen auf. Das macht sie selbst in Krisen weniger anfällig.

Warum also sollten Anleger jetzt also in Biotech-Aktien investieren?

Irani: Makroökonomisch rechnen wir mit zwei bis drei Zinsschritten in den USA. Und diese hat der Aktienmarkt bereits antizipiert. Das allein sollte den Biotechnologiewerten 2023 zu steigenden Kursen verhelfen. Die Kurse vieler kleiner und mittelgroßer Unternehmen sind so stark gesunken, dass sie jetzt attraktiv erscheinen. Einige kleinere Biotech-Unternehmen notieren derzeit unterhalb ihres Cash-Bestands. Daneben gibt es solche, die zwar nicht profitabel sind, aber an vielversprechenden Produkten arbeiten.

Welche Themen werden 2023 vorherrschend sein?

Irani: Die Corona-Vakzine und -Medikamente werden weiterhin von Bedeutung sein, wenngleich wir die Umsätze der Jahre 2021 und 2022 nicht mehr sehen werden. Derzeit passiert viel in den Bereichen der Onkologie, der seltenen Erkrankungen und der Gentherapie. Eines der wichtigen Themen gleich zum Jahresanfang wird auch das Thema Alzheimer sein.

Galt Alzheimer bislang nicht eher als aussichtsloses Feld?

Irani: In der Tat wurde die Alzheimer-Forschung bisher als Friedhof für Medikamente belächelt. Für die Krankheit sind Ablagerungen im Gehirn vom Protein Beta-Amyloid charakteristisch. Beta-Amyloid lagert sich zu Plaques zusammen. Man geht davon aus, dass sich das toxisch auf die Gehirnzellen auswirkt. Bislang sind Studien, die auf dieser Beta-Amyloid-Hypothese basieren, gefloppt. Doch jetzt könnten sich Alzheimer-Patienten berechtigte Hoffnungen machen. Im Herbst zeigte ein Medikament einen positiven Effekt. Man konnte belegen, dass dadurch der Verfall der kognitiven Fähigkeiten um 27 Prozent langsamer vonstattenging.

Und wo ist der Haken?

Irani: Die Studie lief über 18 Monate. Längere Studien wären aufschlussreicher und signifikanter, was das Ergebnis betrifft. Denkbar wäre, dass bei einer fortlaufenden Behandlung bessere Ergebnisse erzielt werden können. Die Nebenwirkungen sind zudem auch nicht zu unterschätzen, scheinen jedenfalls aber behandelbar zu sein. Ich finde, es ist von Bedeutung, ob ein Patient drei Jahre länger zu Hause behandelt werden kann oder ohne diese Behandlung früher in ein Pflegeheim muss.

Wie hoch beziffern Sie das Marktvolumen?

Irani: Das ist noch schwer vorhersehbar. Es gibt Schätzungen von acht Milliarden Dollar bis 32 Milliarden Dollar. Die Studien beziehen sich nicht auf alle Alzheimer-Patienten, sondern nur auf solche in einem frühen Stadium. Bezogen auf diese acht bis neun Millionen Patienten in den Industrienationen, käme man auf ein Marktvolumen von 20 Milliarden Dollar.

Und was sagen die kritischen Stimmen?

Irani: Das Medikament befindet sich seit Juli in einem beschleunigten Zulassungsverfahren bei der US-Arzneimittelbehörde FDA. Die Aktienkurse der beteiligten Unternehmen sind deshalb schon angesprungen. Doch der Markt ist noch ein wenig verunsichert. Ein Vorgängerprodukt hatte in klinischen Studien keine eindeutigen Resultate geliefert. Das Medikament wurde zwar im Juni 2021 zugelassen, kam aber nicht gut an. Die Versicherungen lehnten die Erstattung ab. Das sollte mit dem neuen Medikament anders sein.

Welche anderen Themen sollten Anleger 2023 in diesem Marktbereich im Auge behalten?

Irani: Das Thema Fettleibigkeit. Da reden wir über einen Body-Mass-Index von 30 und mehr. Das trifft auf rund 42 Prozent aller Menschen in den USA zu. Es geht ja nicht nur um die Ästhetik. Adipositas zieht knallhart medizinische Konsequenzen nach sich. Sie kann zu Bluthochdruck und Diabetes führen und, damit einhergehend, zu Nierenerkrankungen, Schlaganfall, Herzinfarkt, Schlafapnoe und anderen Krankheiten, die eine höhere Hospitalisierung und Morbidität mit sich bringen. Und aktuell gibt es Medikamente mit einer Wirksamkeit von 20 bis 25 Prozent Gewichtsverlust und akzeptablen Nebenwirkungen. Den Regierungen und Versicherungen ist sehr daran gelegen, Fettleibigkeit zu reduzieren. In der Vergangenheit waren die Medikamente entweder zu ineffizient oder zu toxisch oder beides zusammen.

Klingt, als müsste man nur darauf setzen. Empfehlenswert?

Irani: Nein, gerade im Bereich der Biotechnologie ist Diversifikation wichtig. Die Immun-, Zell- und Gentherapie spielt ebenso eine große Rolle. Und nicht nur bei Alzheimer, auch im Bereich von Depression und Schizophrenie gibt es einen hohen Bedarf. Patienten gehen oft von einem Medikament zum anderen, weil ihnen nicht geholfen werden kann.

Laien verlieren da schnell den Überblick. Worauf also achten?

Irani: Ich sehe auf das Marktpotenzial, die Wettbewerber, das Produktportfolio inklusive der Patent-Situation, die bisherigen Studien und deren Historie. Um das Potenzial abzuschätzen, muss man das in den Kontext einbetten. Leichter fällt das, wenn ein Produkt bereits auf dem Markt ist. Am Ende geht es darum, den Wert einer Firma einzuschätzen. Da spielen auch Soft-Faktoren wie die Qualität des Managements hinein. Es geht ja nicht nur um die Entwicklung eines Produkts, sondern auch um die richtige Ausführung der Aufgaben wie Entwicklung und Vertrieb.

Das ganze Interview kannst du dir im FOCUS MONEY-Podcast hier anhören.

Autorin: Heike Bangert