
Professor Hackethal, Geld an der Börse anzulegen, ist mit Unsicherheiten behaftet. Welche Denkfehler gibt es hier?
Andreas Hackethal: Denkfehler bedeutet, entgegen seinem eigenen Vorteil zu handeln, sich also selbst zu schaden. Sich selbst zu schaden heißt, seinen Nutzen nicht zu maximieren oder, anders gesagt, seinen Präferenzen nicht gerecht zu werden. Jemand kann zum Beispiel eine Vorliebe dafür haben, an der Börse zu zocken, weil es ihm Spaß macht oder er diesen gewissen Kick braucht. Dann ist das kein Denkfehler, denn er handelt im Sinne seines Nutzens. Die meisten Leute zocken allerdings und erwarten, damit Geld zu machen. Und dann ist es ein Denkfehler zu glauben, dass es beispielsweise funktioniert, mal auf Tesla oder mal auf Bitcoin zu setzen. Die Leute liegen dann mit ihren Erwartungen und ihrem Faktenverständnis neben dem, wie es zumindest nach dem besten Wissen der Forschung ist.
Wie kommt es, dass Menschen entgegen ihrem eigenen Nutzen handeln?
Hackethal: Zum einen kann es an mangelndem Verständnis dafür liegen, wie die Märkte funktionieren. Ursache können aber auch falsche Erwartungen sein – darüber, was in der Zukunft passieren wird, wie die Inflation sich entwickeln wird oder wie hoch die durchschnittliche Rendite ausfällt. Das sind Erwartungen, die können natürlich auch falsch sein und wenn ich falsche Erwartungen habe, mache ich etwas wider meinen Nutzen. Auch Präferenzen können ein Problem sein, nämlich dann, wenn die Leute ihren eigenen Risikoappetit nicht einschätzen können.
Was sind die häufigsten Denkfehler, die Anleger begehen?
Hackethal: Der erste klassische Denkfehler ist das Overtrading, also zu häufig zu handeln. Die Leute sehen beispielsweise aufgrund technischer Analyse einen Anlass zu traden. Aus vergangenen Kursen etwas ableiten zu können, ist allerdings erwiesenermaßen ein Fehlglaube. Das Overtrading geht häufig einher mit mangelnder Diversifikation und das ist meines Erachtens der größte Denkfehler. An den Märkten erhalten Sie for free die Möglichkeit, über viele Tausend Titel zu streuen. Das ist ein Service, der nicht auf Kosten Ihrer Rendite geht, aber das Gesamtrisiko der Anlagen geht durch das zufällige Kompensieren bestimmter Bewegungen zurück. Diesen Service sollten Sie also maximal in Anspruch nehmen. Aber die Leute glauben: Ich muss doch eine Meinung haben, ich muss auf irgendetwas setzen und kann nicht in alles investieren. Also: Ich muss besser sein als der Markt. Das ist der zentrale Denkfehler, der dann zum Overtrading führt, zu zu viel Risiko und zum sogenannten Familiarity-Bias, also der Tendenz, eher das zu kaufen, was man kennt, also bekannte oder deutsche Titel, da man nichts kaufen will, was man nicht kennt.
Fehler Nummer eins ist Overconfidence, die Überschätzung der eigenen Fähigkeiten
Andreas Hackethal
Woher rührt diese Selbstüberschätzung an der Börse?
Hackethal: Dazu möchte ich zuerst kurz ein Beispiel mit Ihnen durchgehen. Stellen Sie sich Franziska vor. Franziska ist Ende 20, hat nie einen Führerschein besessen, ist Veganerin, auch im Winter immer mit dem Fahrrad unterwegs, trinkt keinen Alkohol, ist aber trotzdem eine tolle Gesprächspartnerin. Jetzt frage ich Sie: Welche der folgenden drei Optionen ist aus Ihrer Sicht am wahrscheinlichsten: Antwort a) Franziska ist Bibliothekarin, Antwort b) Franziska ist Bibliothekarin und Mitglied von Greenpeace oder c) Franziska arbeitet bei der Bundesbank.
Vermutlich Option b) …
Hackethal: Diese Option haben Sie vermutlich gewählt, weil sie so schön plausibel ist. Im Beispiel von Franziska wollte ich natürlich genau das erreichen, nämlich ein Muster heraufzubeschwören, zu dem dann das Label Greenpeace passt. Die Suche nach plausiblen Mustern ist eine Heuristik, die uns im Alltag meist gut und schnell hilft. Aber auch in Aktienkursen oder Firmengeschichten erkennen die Leute Muster, die ihnen plausibel erscheinen und dann zu der Idee führen, hier gäbe es eine besondere Chance auf Gewinne. Auf Märkten zählen jedoch nur wirklich neue Informationen, gepaart mit kühlen Wahrscheinlichkeiten. Tatsächlich ist im Beispiel mit Franziska b) die einzig falsche Antwort, denn b) steckt in a) und ist damit strikt weniger wahrscheinlich. Hinter Overconfidence stecken häufig plausible Storys, die aber nicht zu den Fakten und objektiven Wahrscheinlichkeiten passen und damit beim Traden keinen Mehrwert haben oder – schlimmer noch – fehlleiten, weil Storys das Traden der Privatanleger für die Profis vorhersagbar machen. Wenn außerdem Medien, die den Markt für Storys bedienen, immer wieder aufs Neue die Jagd auf Muster anfeuern, dann wird die Versuchung immer wieder neu entfacht.
Welche Denkfehler führen zu den höchsten Renditeverlusten?
Andreas Hackethal: Der teuerste Fehler ist aus meiner Sicht, unbewusst zu viel Risiko in Kauf zu nehmen. Und da sind wir wieder bei der Streuung. Wenn ich auf einzelne Titel setze, habe ich viel Risiko, für das ich nicht vergütet werde. Selbst wenn ich auf Tesla, Apple, Amazon oder was auch immer setze, dann sind das drei oder vier Tech-Stocks, die sich relativ ähnlich entwickeln. Ich habe dann zwar Blue Chips, aber ich bin überhaupt nicht breit gestreut. Damit habe ich unnötig viel Risiko und das Rendite-Risiko-Profil meiner Anlagen ist unterdurchschnittlich. Ein weiterer teurer Fehler ist das Market-Timing, also der Versuch, dann aus dem Markt herauszugehen, wenn es vermeintlich nach unten geht, und wieder einzusteigen, wenn vermeintlich das Tal erreicht ist. Dabei sind es wenige Tage im Jahr, die unglaublich viel ausmachen. Wenn Sie da ein paar Tage verpassen, sind Sie schon so weit hinter dem Markt zurück, dass Sie das kaum mehr aufholen können. Market-Timing hängt wieder einmal mit Overconfidence zusammen, mit dem Glauben an das eigene Gespür für Marktbewegungen. Wenn ich dann beginne, ein- und auszusteigen, dann handle ich zu viel, lasse mich von Mustern leiten und das führt unter Umständen dazu, dass ich genau die wenigen Tage verpasse, an denen es richtig nach oben geht.
Welche Tipps und Tricks haben Sie für die Investoren selbst, um Denkfehler bei der Geldanlage zu vermeiden?
Hackethal: Um sich selbst den Spiegel vorzuhalten, können Sie bei spezialisierten Webseiten oder Apps Ihre Portfolio-Daten hochladen. Sie können dann Ihre Rendite mit dem Markt und dem Durchschnitt der anderen Anleger vergleichen, wenn auch meist nur ganz grob risikoangepasst. Wenn Sie das ehrlich und über einen möglichst langen Zeitraum machen – nicht nur für die drei Monate, in denen Sie einmal besser waren – und dann zu dem Ergebnis kommen, dass Sie schlechter abschneiden als gedacht, dann sollten Sie Ihre Strategie überdenken. Und wenn Sie feststellen, dass Sie mit einer vermeintlich langweiligen Strategie der maximalen Streuung vor allem in der langen Sicht deutlich vor den meisten anderen Anlegern liegen, dann sollten Sie dabeibleiben und sich freuen. In unseren eigenen Forschungsdaten liegen rund 80 Prozent der Leute schlechter als der Markt – und das sind oft erfahrene Anleger, die viel Zeit damit verbringen und glauben, sie könnten es gut. Trotzdem lagen sie im Schnitt drei Prozent unter der Benchmark.
Krieg in der Ukraine, Inflationsängste – wir befinden uns in einer schwierigen Situation. Haben Sie einen Rat, den Sie Anlegern aktuell ans Herz legen würden?
Hackethal: Es gilt erst einmal zu unterscheiden zwischen Perioden hoher Inflation, in denen wir uns gerade befinden, und der Möglichkeit, dass die Inflation noch weiter ansteigt oder lange hoch bleibt. Das aktuelle Inflationsniveau ist in den Preisen bereits drin. Das heißt, die erwartete Rendite auf meine Aktien trägt dem aktuellen Szenario schon Rechnung. Die Frage ist dann aber: Was passiert, wenn die Inflation in Deutschland jetzt noch einmal wider Erwarten richtig zulegt, wie werden dann die einzelnen Titel reagieren? Tatsächlich zeigt die Historie, dass auch dann internationale Diversifikation hilft. Wenn in Deutschland die Geldentwertung sprunghaft weiter zunimmt, dann trifft es vor allem den Dax. Aber eben nicht alle Weltregionen und Branchen. Wenn ich also Inflationsängste habe, sollte ich jetzt umso breiter streuen und, wenn ich mir das leisten kann, zum Beispiel auch über Immobilien und Rohstoffe und Gold. Selbst Bitcoin & Co. dürfen dabei sein, aber immer nur als überschaubare Beimischung.