Bei einem der wertvollsten deutschen Unternehmen verschwinden 1,9 Milliarden Euro. Niemand weiß, wo das Geld ist und ob es jemals existierte. Kurze Zeit später ist die Firma pleite und der Börsenkurs am Boden. Klingt unglaublich? Ist aber genauso bei Wirecard passiert. Dennoch gibt es keinen Grund, Aktien als Geldanlage grundsätzlich abzuschreiben.
Wirecard ist der größte Skandal in der Dax-Geschichte
Mit Wirecard ist zum ersten Mal in der mehr als 30-jährigen Geschichte des Index ein Dax-Konzern pleite. Ob der Zahlungsabwickler das nun eingeleitete Insolvenzverfahren überleben wird, ist unklar. Die Aktie des Unternehmens stürzte nach dem Bilanzskandal ins Bodenlose, innerhalb weniger Tage krachte das Papier von über 100 Euro runter auf 3 Euro. Die Aktionäre hat das eine Menge Geld gekostet.
Politiker, Anwälte und Anlegerschützer stehen vor einem Rätsel: War das einstige deutsche Vorzeige-Fintech Wirecard in Wirklichkeit ein kriminelles Schneeballsystem? Und wenn ja, warum flog es nicht früher auf? Auch die Rolle der Wirtschaftsprüfer und der Finanzaufsicht wirft Fragen auf, zumal es in den vergangenen Jahren immer wieder kritische Berichte (zum Beispiel der Financial Times) über die Geschäfte des Zahlungsdienstleisters gab.
„Das Drama um Wirecard hat die Deutschen ihrer wichtigsten Tech-Hoffnung beraubt und könnte sie nun endgültig von Aktien entfremden“, schrieb Der Spiegel in einem Leitartikel. Das Vertrauen in Aktien als Form der Geldanlage und Altersvorsorge werde wegen des Skandals abnehmen. Aber stimmt das wirklich?
Es ist wahr: Die Deutschen sind relativ aktienscheu. Die Aktienquote ist hierzulande viel niedriger als in den USA oder anderen europäischen Ländern. Das hat viele historische und kulturelle Ursachen. Doch als Fanal für die deutsche Aktienkultur taugt der Wirecard-Skandal nicht. Und zwar aus drei Gründen.
Warum Aktien trotz des Wirecard-Skandals eine solide Geldanlage sind
Erstens: Ja, Einzelaktien stellen immer ein Risiko dar. Unternehmen können sich mit ihrem Geschäftsmodell manchmal eben nicht durchsetzen und scheitern. Aber der Fall Wirecard geht weit über konventionelle Misswirtschaft hinaus. Hier wurden Anleger und Investoren mutmaßlich im großen Stile getäuscht und betrogen. Es ist daher richtig, dass Anlegerschützer nun eine Sammelklage gegen Wirecard anstreben, um Schadensersatzansprüche geltend zu machen.
Es ist zweitens unsinnig, wegen eines Negativbeispiels eine ganze finanzielle Gattung in Frage zu stellen. Denn nimmt man nur den Dax als Ganzes, sieht die Sache schon wieder ganz anders aus. Der Leitindex liefert seit Jahrzehnten kontinuerlich ab, Wirecard hin oder her. Er erzielte seit seiner Gründung eine durchschnittliche jährliche Rendite von acht Prozent. Gerade in Zeiten von Nullzinsen ist es wirtschaftlich sinnvoll, sich an dieser Wertentwicklung zu beteiligen, egal ob beim Dax oder bei anderen Aktienindizes. Das erkennen immer mehr Anleger: Die Nachfrage nach ETFs befindet sich auf einem Rekordhoch.
Drittens sind die Aktienmärkte nie statisch zu betrachten, vielmehr korrigieren sie Fehlentwicklungen. Spätestens bei der turnusmäßigen Neubewertung im September wird Wirecard wohl aus dem Dax fliegen. Die Deutsche Börse will jedoch prüfen, ob ein vorzeitiger Rauswurf möglich ist. Als heiße Anwärter für die Nachfolge gelten der Essen-Lieferservice Delivery Hero sowie der Aromen- und Dufthersteller Symrise, die zuletzt beide starkes Wachstum verzeichneten. So ist das trotz mancher Unkenrufe an der Börse: auf jeden Flop kommen eben doch eine ganze Reihe von Erfolgsgeschichten – und damit neue Chancen für Anleger.