Lange Zeit nahm die Wissenschaft an, dass der Mensch bei der Geldanlage völlig rational vorgeht. Erst seit den 60er Jahren entwickelte sich langsam eine Gegenbewegung: Die Behavioral Finance, die davon ausgeht, dass unsere Psychologie eine wesentliche Rolle bei Investitionsentscheidungen spielt. Inzwischen hat sie nachgewiesen, dass es bestimmte Denkfehler gibt, die sowohl unter Anfängern als auch Profis vorkommen. Sieben Denkfehler an der Börse – und wie Du sie vermeidest – erklären wir in diesem Artikel.
1. Der Sunk-Cost-Effekt
Je mehr Energie, Zeit und Geld wir in eine Sache stecken, desto eine engere Bindung empfinden wir zu ihr. Selbst, wenn das Projekt zum Scheitern verurteilt ist, führen wir es lieber weiter und engagieren uns noch stärker. Wir wollen das Ruder irgendwie herumzureißen – schließlich haben wir schon so viel investiert. Auch an der Börse beziehen wir diese eigentlich „versenkten Kosten“ unbewusst in unsere Entscheidungen mit ein – und bringen uns um gute Rendite.
Ein Beispiel: Renate kauft Aktie Y für 200 Euro. Nach einiger Zeit ist diese um 25 Prozent gesunken, also nur noch 150 Euro wert. Auch weiterhin sieht es nicht gut aus für den Kurs. Damit das ursprünglich angelegte Geld nicht verloren ist, hält Renate die Aktie trotzdem weiter und stockt um weitere 150 Euro auf – in der Hoffnung, wenigstens mit plus/minus null davonzukommen. Eigentlich wäre es klüger, das Investment auf ein anderes Unternehmen zu verlagern. Die einzige Abhilfe bei dieser Falle fasst eine alte Börsenweisheit prägnant zusammen: „Schmeiße nie gutes Geld schlechtem Geld hinterher“.
2. Der Framing-Effekt
Betrachten wir folgendes Beispiel: Anna und Bernd erhalten beide jeweils 50 Euro. Anna wird gesagt, dass sie 20 Euro behalten darf. Bernd, dass er 30 Euro wieder zurückgeben muss. Letztendlich verbleiben beide mit dem gleichen Betrag, trotzdem reagiert Bernd wesentlich unzufriedener auf diese Nachricht. Warum? Die Art, wie eine Nachricht in einen bestimmten Kontext eingebunden wird, entscheidet darüber, wie der Empfänger sie wahrnimmt. Anna wird ein Gewinn versprochen, während sich die Botschaft für Bernd auf einen Verlust konzentriert.
Ein solches Framing von Information kann sich auch auf Anlageentscheidungen auswirken. Es macht einen Unterschied, ob die News zu einer Aktie so aussehen: „Aktie X ist allein in den letzten drei Monaten um 4 Prozent gefallen“ oder so: „Aktie X ist trotz der Krise in den letzten drei Monaten um nur 4 Prozent gefallen“. Um dem Framing-Effekt entgegenzuwirken, hilft nur eines: viele Informationen aus verschiedenen Quellen miteinander vergleichen und sich auf die objektiven Kernaussagen konzentrieren.
3. Die Verfügbarkeitsheuristik – Denkfehler an der Börse
Der Begriff Heuristik bezeichnet eine mentale Abkürzung oder Faustregel, die uns die Urteilsfindung vereinfacht. Das geschieht ganz unbewusst und automatisch. Genau hierbei liegt das Problem, denn so treffen wir oft irrationale Entscheidungen – auch an der Börse. Je leichter zugänglich, verfügbarer oder schneller präsent Informationen für uns sind, desto eine höhere Bedeutung weisen wir ihnen zu. Es ist kein Wunder, dass die meisten Deutschen in Unternehmen aus dem DAX investiert sind – es wird schließlich fast täglich in den Medien über sie Bericht erstattet. Das sorgt dafür, dass diese Konzerne uns vertrauter vorkommen und ihre Aktien sicherer wirken. Das beste Gegenmittel gegen die Verfügbarkeitsheuristik ist bewusste Reflexion – es schadet außerdem nicht, auch nach Anlagemöglichkeiten außerhalb des Mainstreams zu suchen.
4. Die Kontrollillusion
Wusstest Du, dass Menschen einen Würfel umso energischer werfen, je höhere Augenzahlen sie erzielen wollen und umso behutsamer, je niedriger diese sein sollen? Wir bilden uns häufig ein, Situationen beeinflussen zu können, die außerhalb unserer Kontrolle liegen. Dieses Phänomen stellte schon die Harvard-Psychologin Ellen Langer 1975 in ihrer Studie „The Illusion of control“ fest. In einer Reihe von Experimenten zeigte sich unter anderem, dass die Probanden überzeugt waren, dass sie mit einem selbst ausgefüllten Lottoschein bessere Aussichten auf einen Gewinn haben, als wenn dieser ihnen zufällig zugeteilt wurde – obwohl die Wahrscheinlichkeit in beiden Fällen gleich hoch ist.
Die Kontrollillusion hat Vor- und Nachteile. Zum einen wirkt sich diese optimistische Selbsteinschätzung positiv auf unsere Motivation aus. Andererseits erhöht sie unter Umständen unsere Fehleranfälligkeit bei Entscheidungen. Denn wir werden taub für Feedback, sind lernresistenter oder gehen zu hohe Risiken ein. Der bekannte Verhaltensforscher Albert Bandura rät daher: Je schädlicher die möglichen Folgen unseres Tuns sind, desto kritischer sollten wir hinterfragen, wie viel Macht wir tatsächlich über sie haben.
5. Die Verlustaversion – Denkfehler an der Börse
Stell Dir vor, Du kannst an einem Glücksspiel teilnehmen, bei dem Du 100 Euro setzen müsstest. Ein Münzwurf entscheidet: Bei Kopf verlierst Du das Geld, bei Zahl machst Du Gewinn. Nun die Frage: Wie hoch müsste dieser ausfallen, damit Du Dich auf den Spaß einlässt? Denk einmal genau darüber nach, bevor Du weiterliest. Dieselbe Frage stellten der Wirtschaftsnobelpreisträger Daniel Kahneman und der israelische Psychologe Amos Tversky 1979 auch ihren Versuchsteilnehmern.
Die häufigste Antwort: mindestens zweimal so hoch wie der Einsatz, in diesem Fall also 200 Euro. Na, war es bei Dir ähnlich? Aus dem Versuch leiteten die Forscher ab, dass wir einen Verlust doppelt so stark empfinden wie einen Gewinn – dieses Phänomen wird Verlustaversion genannt. Und dieser Denkfehler führt an der Börse häufig zu folgendem Verhalten: Steigt eine Aktie, so wollen wir die erzielte Rendite auf gar keinen Fall aufs Spiel setzen und verkaufen sie zu schnell. Sinkt der Kurs, so halten wir die Position viel zu lange, weil wir darauf hoffen, trotzdem irgendwann Profit aus unserer Anlage zu schlagen. Eine altbekannte Börsenweisheit lautet daher: Verluste begrenzen und Gewinne laufen lassen.
6. Der Confirmation Bias
Wenn wir ehrlich sind, dann sehen wir es doch lieber ungern, wenn unsere Werte, politischen Ansichten, oder Meinungen infrage gestellt werden, oder? Daher suchen wir bevorzugt nach Informationen, die unser Weltbild bestätigen – das wird auch Confirmation Bias genannt. Der Sozialpsychologie Leon Festinger stellte schon in den 50er Jahren fest, dass in uns eine innerliche Anspannung entsteht, wenn unsere Einstellungen, Wahrnehmungen und Gedanken sich widersprechen. Diesen Zustand der „kognitiven Dissonanz“ wollen wir um jeden Preis vermeiden.
An der Börse kann das dazu führen, dass wir uns nicht eingestehen wollen, mit einem Investment eine Fehlentscheidung getroffen zu haben. Wir rechtfertigen so beispielsweise die schlechten Zahlen eines Unternehmens innerlich damit, dass es sich ja nur um eine kurzfristige Phase handeln kann. Auch wenn es unter Umständen unschön ist, gibt es nur einen Ratschlag gegen den Confirmation Bias: Suche gezielt nach Informationen, die Deiner Meinung komplett widersprechen – so kannst Du Dir ein klares Bild von der Lage verschaffen und diesen Denkfehler an der Börse vermeiden.
7. Das Mental Accounting
Wir neigen dazu, in unserem Kopf ein ganz eigenes Buchhaltungssystem mit mentalen Konten zu führen. Klingt kompliziert, wird aber klar, wenn wir in Gedanken folgendes Beispiel durchspielen. Stelle Dir die folgenden zwei Szenarien vor: Du bist auf dem Weg ins Theater. Im ersten Fall hast Du bereits vorher eine Karte für 15 Euro gekauft. Am Eingang stellst Du fest, dass Du das Ticket auf dem Weg verloren hast. Was machst Du? Kaufst Du eine neue Karte oder nicht? Nun betrachten wir Fall Nummer Zwei: Du hast die Theaterkarten nicht vorbestellt und willst sie am Eingang erwerben. In diesem Moment registrierst Du, dass Du auf dem Weg 15 Euro verloren hast.
Kaufst Du das Ticket trotzdem? Falls Du die erste Frage mit Nein, aber die letzte mit Ja beantwortet hast, so hättest Du gehandelt wie die Mehrheit der Menschen. Der Grund ist, dass wir das Geld auf zwei verschiedenen mentalen Konten verbuchen – im ersten Fall minus dreißig Euro auf dem „Theaterkonto“, im zweiten minus 15 Euro auf dem Konto „Bargeld“. Dieser Effekt kann dazu führen, dass wir unser Portfolio schöndenken, indem wir Positionen geistig so in verschiedene Kategorien einteilen und gegeneinander verrechnen, dass ein möglichst positives Ergebnis dabei herauskommt. Abhilfe schafft da nur, sich das gesamte Depot zu vergegenwärtigen und ab jetzt möglichst alle Anlagen auf einem einzigen mentalen Konto zu verrechnen.
Und – hast Du Dich in einem der Fälle wiedererkannt? Falls ja, mach Dir nichts daraus – Du weißt ja jetzt, wie Du Dich gegen Denkfehler an der Börse wappnen kannst.
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